Die allmächtigen Makrelen

Vor ungefähr einem Jahr haben Mr. Cole und ich uns getrennt. Vielleicht wärs einfacher gewesen, wenn da Betrug gewesen wäre, oder irgendetwas, das ein Grund gewesen wäre,  von einem Tag auf den anderen – etwas, das klar und deutlich gezeigt hätte – so geht das nicht mehr.

Aber es war so wie es bei vielen Ehen ist: schleichend und langsam, zuerst dieses vage Gefühl, etwas verloren zu haben. Und der Gedanke: Das wird wieder. Wir kriegen das hin. Haben wir immer, richtig? Siebzehn Jahre lang. Und dann – endlos viele Versuche, darüber zu reden, die nie irgendwo hin geführt haben. Ein konstanter Schmerz, unter dem Alltag. Das Nicht-Wahrhaben-Wollen, dass man etwas verloren hat. Etwas Essentielles. Dieser Funke, der mal da war. Die Verbindung, dieses Besondere, das immer wir waren. Keine grosse Tragödie an ihrer Stelle, nur Leere – und das war vermutlich das Schlimmste. Das schlichte Fehlen von etwas, was mal perfekt und schön war. Vor allem, wenn man sucht und sucht, und es einfach nicht mehr finden kann.

Die Monate der Trennung waren hart. Das ganze letzte Jahr war es. Meine Oma ist gestorben, ich hab Freunde verloren, jedes Monat ist ein neuer Pfeiler in meinem Leben weggebrochen. Irgendwann konnte ich nicht mehr schreiben oder fotografieren. Ich hab aufgehört, Freunde zu treffen. Ich wollte alleine sein. Da war nur noch Abschied und Gehen lassen, und in Beidem bin ich nicht besonders gut. Ich kämpfe um die Dinge, die mir wichtig sind. Immer. Letztes Jahr hab ich festgestellt, dass das nicht immer reicht. Dass meine Kraft nicht immer reicht. Dass Menschen manchmal gehen, weil einfach die Zeit dafür gekommen ist. Dass es dann nichts mehr zu tun gibt als zu trauern und Abschied zu nehmen. Zu warten, bis der Schmerz nachlässt und man wieder zu leben beginnt. Langsam, mit Babyschritten.

Für viele Monate war mein Leben total reduziert auf die allernotwendigsten Dinge: Zeit mit Köhlchen zu verbringen, für ihn dazusein. Den Haushalt zu meistern. Zu versuchen, halbwegs Alltag und Normalität zu leben, auch wenn sich nichts mehr normal angefühlt hat. Jeden Tag aufzustehen war eine gewaltige Aufgabe, und es gab mehr als einen Tag, an dem ich einfach liegen bleiben wollte. Bettdecke über den Kopf und darauf warten, dass der Tag vorbei geht. Aber Köhlchen war immer ein Grund, aufzustehen. Einen Tag nach dem anderen.

Auch wenn an Schreiben nicht zu denken war, die Worte einfach nicht mehr kommen wollten, und ich so wahnsinnig ungeduldig mit mir selber war und gedacht hab: Na komm. Setz dich hin und schreib. Bei jeder Nachfrage auf FB oder jedem lieben Mail, wann denn das nächste Buch erscheint, hab ich gedacht: Mein Leben ist in Scherben. Wie soll ich über die große Liebe und ein Happy End schreiben, wenn ich grad selber den Glauben daran verloren hab? Es gibt Kreative, die am Besten arbeiten, wenn sie leiden – ich gehöre nicht dazu. Ich war nur leer und taub, und die Geschichten, die sonst einfach so in meinem Kopf vor sich hinblubbern, waren verschwunden.

Dann, irgendwann im Jänner, wurde es langsam besser. Ich hab wieder angefangen an den Drachen zu arbeiten. Das Leben wurde leichter. Es gab wieder mehr schöne Tage als schlechte. Da waren wieder Musik, Lachen und Geschichten. Nicht immer. Aber genug, um wieder ins Leben zurückzukehren.

Neulich hatte ich mal einen Auftrag, Makrelen zu fotografieren (in meinem Zweit-Job als Foodfotografin). Um den Makrelen Ehre nach dem Shooting zu erweisen, hab ich Freunden zum Grillen eingeladen. The allmighty macarels, hab ich in die Einladung geschrieben. Die Makrelen haben sich mit Basilikum und Knoblauch auf dem Teller genauso gut gemacht, wie vor der Kamera. Und während diesem Sommerabend auf meiner Terrasse kam das Gespräch auf persönliche Wahrheiten. Wie sehr wir uns verstecken. Wie selten wir die ganze Wahrheit sagen. Wie oft wir Angst haben. Wie selten wir die Gelegenheit nutzen, etwas von uns zu erzählen. Etwas, das wichtig ist und weh tut, weil es nahe geht.

P., ein sehr lieber und kluger Freund, hat argumentiert, dass es einen großen Unterschied macht. Oder zumindest machen kann. Dass da draussen Menschen sind, die Mut brauchen. Dass es manchmal gut tut zu hören, dass die, von denen man denkt, dass sie das perfekte Leben haben … in Wahrheit genausowenig Ahnung haben wie der Rest von uns. Dass es für Menschen mit Depressionen wichtig sein kann, Geschichten von anderen zu hören, die ebenfalls damit kämpfen. Dass es für junge Menschen entscheidend sein kann zu hören, dass bekannte Männer und Frauen zu ihrer Orientierung, ihrem Glauben, ihren politischen Überzeugungen stehen. Ich hab einen Abend lang dagegen argumentiert, wild entschlossen.

Aber ich denke, er hat Recht: Es gibt keinen Grund, sich zu verstecken. Unsere Leben haben die Angewohnheit selten so zu verlaufen, wie wir es planen. Wir studieren jahrelang, nur um dann festzustellen, dass der Traumjob der falsche ist. Wir setzten alles dran, um jemanden zu erobern – nur um dann zu sehen, dass die Beziehung uns nicht glücklich macht. Wir verlieben und entlieben uns, wir gewinnen und verlieren. Und manchmal müssen wir wieder neu anfangen, wenn wir dachten, es geht immer so weiter.

Aber es ist das Schweigen, dass es schwerer für uns macht. Die kleinen Lügen. Wir sagen – danke, es geht mir gut, wenn in Wahrheit unser Leben gerade zerbricht. Ist nicht schlimm, wenn es schon lange unerträglich ist.  Mein Job ist toll, wenn wir überfordert und müde sind und keinen Ausweg sehen. Nein, danke, ich brauch keine Hilfe – wenn wir dringend jemand brauchen würden, der für uns da ist. Ja, lass uns nur Freunde sein, wenn wir viel mehr wollen als das und Freunde die schmerzhafteste Option von allen ist. Wir lächeln, wenn wir eigentlich weinen wollen. Wir drehen uns um und gehen, wenn wir eigentlich eine Umarmung brauchen. Wir flunkern, weil wir Angst haben. Wir schweigen, wenn wir die Wahrheit erzählen sollten.

Warum ist es so schlimm für uns zu sagen, dass etwas weh tut, dass wir überfordert sind, dass wir nicht wissen, wie es weitergehen soll? Dass unsere Herzen und Leben manchmal Chaos sind? Dunkelheit gehört ebenso zum Leben wie Licht, und schlussendlich sind es die Verluste, die uns zeigen wer wir sind – wenn wegbricht, was man für essentiell gehalten hat, wer ist man dann? Was macht man, wenn das Leben von einem Tag auf den anderen anders ist, wenn Wahrheiten nicht mehr stimmen und alles was sicher war, verschwunden ist? Das letzte Jahr war schlimm für mich. Aber ich hab neue Seiten an mir entdeckt. Neue Gedanken für meine Bücher. Neue Gefühle, über die ich schreiben kann. Neue Schichten und Schattierungen für meine Geschichten. Ich hab neue Pläne, hab neue Menschen kennengelernt und neue Perspektiven. Es ist noch nicht alles gut. Aber ich bin am Weg.

Der Abend der Makrelen und das Gespräch mit meinen Freunden hat mich zum Umdenken gebracht. Für alle da draussen, die gerade mit der Dunkelheit kämpfen: Ihr seid damit nicht alleine. Ihr kriegt das hin. Gebt euch Zeit. Habt Geduld mit euch. Es wird besser. Und dann wirds wieder gut. Versprochen.

 

 

8 Gedanken zu “Die allmächtigen Makrelen

  1. Wunderbare Worte. Ich danke Dir dafür und für die Gänsehaut die mich überkam.

    Es tut mir leid das Du das durchmachen musstest aber ich denke auch das es gut ist denn eine unbefriedigende Situation macht Dich auch nicht glücklich. Ich wünsche Dir noch ganz viel Kraft und Geduld und Muse um weiter zu Dir zu finden, zu erkunden und Dich einzurichten. Du hast Recht, es dauert. Aufgeben ist keine Option.

    Wenn Du reden möchtest schreib mich gerne an.

    Liebe Grüße
    Claudia

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    • Danke, Claudia! 🙂 Ja, ich hab gelernt geduldig mit mir zu sein. Na gut, geduldiger. Manche Sachen gehen nicht von heute auf Morgen. Ein neues Leben aufbauen, zum Beispiel. 😉

      Wenn ich wieder mal denke, dass ich könnte, müsste und sollte, dann erinnere ich mich daran, wo ich vor einem Jahr war und denk mir – siehst du, ist doch schon so viel passiert. Babysteps! Nach der Unterhaltung mit meinen klugen Freunden neulich dachte ich – vielleicht hilft meine Geschichte tatsächlich auch anderen. Vielleicht jemand, der gerade da ist wo ich vor einem Jahr war. Vielleicht jemand, der ein bisschen Mut braucht. Man weiß ja nie. 🙂

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  2. Genau deshalb antworte ich auf die Höflichkeitsfrage:“wie geht es dir?“ mit brutaler Ehrlichkeit und wenn es so ist, dass es mir dreckig geht. Umgekehrt verstehe ich es nicht, wenn mir mit „Danke, es geht mir gut.“ geantwortet wird obwohl spürbar ist, dass etwas nicht stimmt. Ist es nicht leichter, wenn man offen weiß, dass es dem gegenüber nicht gut geht?
    Es tut mir leid, dass du so ein Jahr hinter dir hast. Aber es wird alles wieder gut und Stärke entsteht durch Schwäche. Fühl dich gedrückt!!

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    • Da hast du Recht. Völlig. Es macht viel mehr Sinn, zu reden. Ich denke, es ist vielleicht diese Angst davor, verletzt zu werden, wenn man zugibt, verletzbar zu sein? Dass es dann leichter scheint so zu tun als wäre alles gut und man Superwoman. Heute vielleicht mehr als jemals zuvor – mit all diesen Instaposts und FB Updates, wo jeder kuratiert aus seinem Leben erzählt, und kaum noch etwas wirklich echt ist. Nachdem ich gerade dabei bin mein Leben neu einzurichten, nehm ich das als neue Gewohnheit mit: zu sagen, wenns nicht so gut läuft. Bisher wars viel weniger schlimm als gedacht… nur liebes Feedback, viel Unterstützung und Angebote zu helfen. Die Welt ist voll von netten Menschen, man muss sich nur trauen sie auch nahe kommen zu lassen.

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  3. Das tut mir sehr leid für dich und ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft. Auch wenn es lange dauern wird, aber irgendwann lässt der Schmerz nach. Da ist ein neues Buch schreiben erst mal zweitrangig, auch wenn ich natürlich gern wieder etwas Neues von dir lesen möchte.
    Glg
    Katja

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  4. Pingback: Brieftauben, Prosecco und Knalleffekt | charlotte cole

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