Monat: November 2015
Wanderlust, Vampire & Pralinen: Ein Interview mit meiner Lektorin Andrea Weil
Da unter meinen Blogleserinnen auch eine Menge Autorinnen bzw angehender Autorinnen sind, dachte ich mir, ihr interessiert euch vielleicht für ein paar Einblicke ins Leben einer Lektorin? Und vielleicht ist ja auch für die ein oder andere Buch-Aficionada etwas dabei 🙂
Andrea Weil, einer meinen beiden Lektorinnen, war so lieb und hat sich für ein Interview bereit erklärt. Sie hat gemeinsam mit der Textehexe Susanne Pavlovic Teil 1 und Teil 2 meiner Finley Meadows-Reihe lektoriert.
Und jetzt, auf zum Interview:
Hallo Andrea … danke, dass du dir Zeit nimmst!
Danke für dein Interesse 🙂
Das Schreiben war zuerst da. Ich hab das Schreiben schon als Kind geliebt und mir Geschichten ausgedacht. Mit elf schickte ich mein erstes „Manuskript“ an einen Verlag . Die Absage der Lektorin hab ich heute noch, weil sie sich wahnsinnig Mühe gegeben hat, mir Mut zu machen.
Momentan komme ich nicht so viel zum Schreiben, wie ich gerne möchte, deshalb mag ich jetzt keine Prozentzahlen schätzen. Das darf meine liebe Agentin gar nicht hören! Aber ich bin erst seit einem guten Jahr selbständig, muss mich am Markt etablieren und meinen Lebensunterhalt verdienen. Die Kooperation mit der Textehexe ist mir da eine unschätzbare Hilfe. Außerdem bin ich sehr dankbar, dass ich sie als erfahrenere Kollegin immer um Rat fragen kann. Gerade das Lektorieren macht mir jedes Mal wieder Lust, mich an meine eigenen Projekte zu schmeißen. Das passiert dann meistens abends. Oder nachts im Bett, wo mir die besten Ideen kommen. Deshalb hab ich immer Zettel und Stift im Nachttisch.
Belgische Muschelpralinen mit Nougat, mjammjam. Ich setze mich morgens mit einer Kanne Tee an den Schreibtisch und lese meist direkt am Bildschirm, damit ich gleich an den richtigen Stellen Kommentare einfügen kann. Länger als eine Stunde am Stück kann sich der Mensch rein von seinen biologischen Voraussetzungen her gar nicht konzentrieren. Also lege ich immer wieder Pausen ein, in denen ich einkaufen gehe oder auch mal einen Termin für meine Lokalzeitung wahrnehme. Irgendwas, was mir das Gehirn durchpustet, damit ich frisch an den Computer zurückkehren an. Als Freischaffende kann ich mir ja meine Zeit selbst einteilen. Allerdings sitze ich abends auch oft bis zehn oder elf noch dran. Aber da ich meinen Beruf liebe, stört mich das wenig.
Wie ich schon sagte: Jeder wird betriebsblind. Und so wichtig Freunde und Familie als Testleser sind, sie haben keinen neutralen Blick aufs Werk. Ein Profilektorat ist sehr umfassend. Meistens mache ich mit meinen Kunden zwei Lektoratsdurchgänge aus: Im ersten konzentriere ich mich auf den Inhalt, Widersprüche, Spannungsbögen, Show, don’t tell, Charakterentwicklung und so weiter. Bekomme ich das Manuskript überarbeitet zurück, geht es um Stil, Satzbau, um das Vernichten böser, überflüssiger Adverbien und Adjektive (hat jemand gemerkt, dass ich gerade welche vetrwendet hab?), Rechtschreib- und Grammatikfehler. Auch wenn ich keine hundertprozentige Garantie fürs Korrektorat übernehme. Ich hab auch schon mit Autoren Coachings gemacht, wenn sie mit ihren Projekten nicht weiterkamen und nicht wussten, warum. Dann lese ich, was sie haben, und wir sprechen am Telefon über Erzählperspektiven oder woran es sonst noch so hakt. Ich verstehe, das ist eine Menge Geld, was man für ein Profilektorat ausgibt. Aber man bekommt auch eine Menge dafür und kann viel mitnehmen für das nächste Projekt. Bisher ist jedes Buch besser geworden – finde ich und sagen auch meine Kunden.
Es ist eine Gratwanderung, keine Frage. Es gibt immer einen Punkt, an dem ich mich frage: Ist dein Vorschlag jetzt besser oder gefällt er dir nur besser? Im letzteren Fall streiche ich ihn wieder. Aber es gibt recht weit verbreitete Regeln, wie man sie immer wieder in Schreibratgebern findet (wie dem fantastischen „Das Leben und das Schreiben von Stephen King), die es dem Leser leichter machen, sich mit einer Figur zu identifizieren, in eine Szene einzutauchen, Spannung zu empfinden. Ein Autor sollte natürlich seinen individuellen Stil entwickeln, denn das macht ein Buch lesenswert. Aber er sollte auch bereit sein, an sich zu arbeiten. Oder er kann einen Stil pflegen, mit dem leider die große Mehrheit der Leserschaft wenig anfangen kann. Vielleicht gewinnt man damit einen Nobelpreis, aber meistens nicht mal das. Im Elfenbeinturm kann es schrecklich einsam werden.
Ich bin mit Hunden aufgewachsen, aber momentan lebe ich im vierten Stock eines Plattenbaus, ohne Garten und mit wenig Zeit, das würde ich niemals einem Hund antun. Auch keiner Katze. So richtig schräge Erlebnisse fallen mir gar nicht ein. Ich weiß noch, wie unser neuer Familienhund Tesha sich noch beim Züchter einen Virus zuzog. Ich verbrachte die erste Nacht damit, alle zehn Minuten Durchfall aufzuwischen und ein armes Würmchen zu trösten. Am nächsten Tag trafen sich alle Welpen im Wartezimmer des Tierarztes. Sie schliefen nach der Begrüßung in einem großen Knäuel in der Mitte des Raums ein – bis auf Tesha. Die legte sich zu mir. Das war so süß!
Bislag gibt es zwei Sachbücher von mir: Meine Diplomarbeit über den Stuttgarter Journalisten Erich Schairer und seinen Widerstand gegen die Nationalsozialisten, unter dem Titel „Der öffentlichen Meinung entgegentreten“. Und gerade ist eine Sammlung von Anekdoten aus dem DDR-Alltag meiner neuen Heimat Schwedt erschienen. Ansonsten habe ich einige Kurzgeschichten im Wolf Magazin veröffentlicht, zuletzt auch in Anthologien. Aktuell arbeite ich an weiteren Beiträgen für Kurzgeschichtensammlungen, habe einen Blog (www.grenzverkehr.blogspot.de) eine Kolumne bei www.literra.info und schreibe einen Vampirroman, für den mir meine Agentur Ashera einen Verlag vermittelt hat. Für meinen eigentlichen Erstling, ein Werwolfroman auf dem neusten Stand der Wolfsforschung, sucht sie noch einen. Ich bin da ganz geduldig, die Freude am Schreiben ist mir fast genug – aber nur fast. Mein Vampirroman geht von der Prämisse aus, dass es auch hässliche Vampire geben muss, und hat außerdem Regionalkrimi-Elemente.
So richtig rollen sie sich bei mir, wenn jemand lachen, schmunzeln oder grinsen als Ersatz für „sagen“ hernimmt. Das kommt in so vielen schlechten Lokalzeitungsartikeln vor, dass ich schon von Berufs wegen einen Hass darauf entwickelt hab. Es ist sogar rein körperlich unmöglich, gleichzeitig zu reden und zu lachen. Probiert es aus! Man sagt etwas und muss dann aufhören, wenn einen das Lachen übermannt. Mein zweites Hassobjekt sind Adverbien. Im besten Fall sind sie überflüssig, im schlimmsten albern. „Er nickte zustimmend.“ Ja nu… zumindest in unserem Kulturkreis gibt es ablehnendes Nicken auch gar nicht. Das klingt nach Kleinigkeiten, aber sie verderben mir jeden Lesespaß. Und im Gegensatz zu großen Fehlern wie Widersprüche und Klischees findet man die leider auch in fertig gedruckten Büchern noch viel zu oft.
Schwer. Lieblingsautor ist leichter: Peter S. Beagle. Vielleicht „I see by my outfit“, ein Roadtrip, den er in den 60ern beschrieben hat und der leider nie ins Deutsche übersetzt wurde.
Kommt auf die Stimmung an. Pan’s Labyrinth, The Dark Knight, Stand by me, Lost in Translation … Unter den in den jüngsten Jahren herausgekommenen: Her. Und Guardians of the Galaxy heben immer meine Laune.
Ja, das tut sie leider tatsächlich. Zum Glück lese ich ohnehin viel auf Englisch, da kann ich den Lektor besser zum Schweigen bringen.
Steht ein Pils im Wald. Kommt ein Reh vorbei und trinkt’s aus.
Erstmal würde ich sowas wahrscheinlich nicht klicken, ich bin misstrauisch im Netz. Aber wenn ich zu Geld käme, würde ich an meinem Leben wahrscheinlich wenig ändern, es nur etwas aufpimpen: neuer Computer, ein Super-Teleobjektiv für meine Kamera, ein Spektiv zum Tiere-Beobachten und eine Reise in die kanadische Wildnis. Etwas spenden und den Rest sparen für schlechtere Zeiten.
Ich hab kein richtiges Lieblingswort, aber ich mag zum Beispiel lautmalerische Tiernamen. Crex Crex, der lateinische Name des Wachtelkönigs, gibt sehr gut den Ruf eines balzenden Männchens wieder. Ich mag es auch, wenn es deutsche Wörter in den englischen Sprachgebrauch schaffen, weil sich umgedreht immer so viele Leute über Anglizismen beschweren. „Wanderlust“ ist eins davon. „Fuhrerbunker“ fand ich weniger komisch. Und ich mag das Wort Wolldecke. Da kann ich mich gleich einkuscheln.
Wo ich, glaub ich, am meisten gelacht habe, das war kein Fehler, das war ein kulturelles Missverständnis. Eine gewisse österreichische Autorin (schaut jetzt niemanden an) schrieb den Satz: „Nur ein paar Minuten ausrasten. Dann mache ich uns Frühstück.“ Aber ich kenne als bundesdeutsche Lektorin das Wort „ausrasten“ nur im Sinne von „durchdrehen“. Ich brauchte einige Sekunden, um zu verstehen, dass sie „ausruhen“ meinte.
Nein. Wenn ich so nebenbei tippe, mache ich selbst genug davon.
Ich reise sehr gerne, aber ich muss nicht im Ausland leben. Ein längerer Farmstay im wilden Westen von Kanada ist noch mein Traum. Und ich habe mich in die schottische Hauptstadt Edinburgh verliebt, wegen der wahnsinnig herzlichen Einwohner und dem fantastischen kulturellen Angebot. Dort möchte ich gern noch mehr Zeit verbringen.
Tolle Frage! Die Geschichte spielt in einer Damenhandtaschenfabrik, in der Zombies als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Sie verrichten die stumpfsinnigsten Arbeiten wie mit dem Lötkolben Muster ins Leder zu brennen. Natürlich haben sie keine Gewerkschaft, es ist eine moderne Form der Sklaverei, mitten in Deutschland! Statt mit ihrer Liebslingsspeise Gehirn werden sie mehr schlecht als recht mit Schnitzel am Leben gehalten. Eines Tages verbreitet sich unter den Arbeitern eine Epedemie aus Fäulnis-Bakterien, sie verlieren nach und nach immer mehr Körperteile. Während die skrupellosen Firmenchefs überlegen, wo sie neue Sklaven herbekommen können, schart Wunibald, unser Held, einige Zombies um sich. Sie planen einen Ausbruch durch die dichte Lingusterhecke, die das ganze Gelände umgibt, und wollen eine Heilung für ihre Kameraden finden. Wehe, die Idee klaut jetzt jemand! 😀
Urbane Mythen: Kängurus
Ich liebe urbane Mythen. Ihr kennt das, oder? Diese Geschichten, die nie dem Erzähler selbst, aber immer dem Cousin des besten Freundes der Putzfrau des netten Kellners in der Kneipe gegenüber der Firma einer Bekannten passiert sind. Garantiert.
Die ein wenig Grusel und Nervenkitzel in den Alltag bringen. Hat das was mit unserer Sehnsucht nach Geschichten zu tun? Vermissen wir die Anders-Welt, die die Menschheit immer schon begleitet hat? Die wir in unserer rationalen, fortschrittlichen Welt beinahe ausgerottet haben? Vielleicht bringen sie ein wenig Lagerfeuer-knisternde Romantik. Ein wenig Stammeszugehörigkeit. Ein wenig Verbundenheit mit den mythischen Wesen, die die tiefen Wälder rund um die Menschen jahrtausendelang bevölkert haben.
Neulich war Mr. Cole mit einem australischen Kollegen in Wien unterwegs. Mr. Australia wollte nach einer Runde Wiener Schnitzel auch mal etwas Ordentliches zu essen – und so waren die beiden in einem Australischen Pub. In Wien. Angeblich gar nicht schlecht, laut australischer Meinung.
Nun hat ja jeder Österreicher, der schon mal im englischsprachigen Ausland war, die Erfahrung gemacht, dass Austria öfter mal mit Australia gleichgesetzt wird. Deswegen gibts in Wien auch T-shirts mit der Aufschrift „No Kangaroos in Austria“ zu kaufen. Ohne Schmäh! (=Kein Scherz.)
Daher waren Mr. Cole und Mr. Australia recht schnell beim Thema Kängurus. Und da hat Mr. Australia einen modernen (ungruseligen) Mythos erzählt, den ich euch unmöglich vorenthalten kann. Wie alle Mythen sehr unterhaltsam … und sehr unwahr 😉
Laut dem Mythos verwendet die ganze Welt das Wort „Känguruh“ für diese merkwürdigen, großen Beuteltiere – nur die Aboriginies nicht. Obwohl das Wort aus deren Sprache stammt. Wie kommts?
Als die Einwanderer damals auf die ersten Kängurus stießen, fragten sie die Ureinwohner (vermutlich mit Händen und Füßen) was das den für ein seltsames Tier ist. Die Antwort der Aboriginies war „Kangaroo“ … was in ihrer Sprache „Ich verstehe dich nicht“ hieß. Und tadahh … der Name des Tieres war geboren. Eine nette Geschichte, oder?
Ein Blick ins Internet verrät einem dann aber ziemlich schnell, wie es vermutlich wirklich war: Das Wort für Känguru des besagten Aboriginies-Stammes war „gangurru“ … was dann gar nicht so weit entfernt ist vom heutigen Känguru.
Die Geschichte erinnert mich an die Erzählung „Kannitverstan“ von Johann Peter Hebel:
Tintenhexe
Bei der Tintenhexe gibts einen kurzen Fragebogen zu „Küss mich im Sommerregen“ zu lesen 🙂
http://tintenhexe.blogspot.co.at/2015/11/mein-buch-charlotte-cole.html
Finding Dory
Ich kanns kaum abwarten 🙂
Montagsfrage: Liest du bei Büchern auch schonmal das Ende zuerst oder würde das dein Lesevergnügen zerstören
Die Montagsfrage kommt von Buchfresserchen 🙂
… manchmal ist die Spannung einfach so unglaublich groß … was soll ich sagen … Ja, ich lese manchmal das Ende vor dem Ende. Das Vergnügen am Lesen nimmt dadurch für mich nicht ab. Daher ist es mir eigentlich auch egal, wenn ich irgendwo Spoiler zu Büchern oder Filmen lese. Ich seh´ das so wie bei Liebesromanen: Da weiß man im Normalfall ja auch, wie es ausgeht. Bevor man überhaupt angefangen hat. Und trotzdem liest man das Buch. Weil beim Buch der Weg das Ziel ist, und das Ziel nur der Bonus. 🙂
Noch gruseliger …
Dear Prudence:
Eine meiner liebsten Kolumnen ist schon seit langem „Dear Prudence„: Advice on morals and manners. Zum einen, weil die Probleme der Ratsuchenden zwischen komplett abstrus, herzzerreißend und schundromanwürdig oszillieren. Zum anderen, weil die Schreiberin Emily Yoffe mit ihren Antworten meist voll ins Schwarze trifft – Bodenständig, direkt und mit ziemlich viel trockener Humor. Was bleibt einem auch anderes übrig, wenn eine Leserin anfragt, ob sie tatsächlich Kindern, die nicht aus ihrer reichen Nachbarschaft stammen, Halloween-Candy austeilen muss? Gesindel! Oder wenn ein schwules Zwillingspärchen um Rat bittet, wie sie ihrer Familie denn am besten ihre Beziehung beichten. Oder die Kinder, deren Vater darauf besteht, dass sie einmal mehrere Beerdigungen für ihn veranstalten: Für jede Geliebte eine. Damit die auch nach seinem Ableben keinen Wind voneinander kriegen.
Mit einem Wort: Großartig. Wenn ihr mal ein paar Stunden zu füllen habt, und gerade nicht wisst, nach welchen Buch ihr greifen sollt – Dear Prudence kann ich empfehlen.
Eigentlich wollte ich diesen Linktipp ja schon länger mal posten. Nun hat mich aber die Zeit überholt – seit Kurzem ist klar, dass Emily Yoffe geht. Schluchz! Ihre Nachfolgerin wird Mallory Ortberg, die ironischerweise vor Kurzem erst einen Artikel zu „Dear Prudence“ verfasst hat. Auch sehr lesenswert. Und vielversprechend, wenn es um die Zukunft der Kolumne geht.